Text vorlesen lassen
Die Weihnachtsgeschichte im Lukasevangelium, eine frohe Botschaft für die Welt – so denken wir jedenfalls. Umso überraschter war ein Mitarbeiter in Südamerika über die Reaktion seines einheimischen Kollegen auf diesen Text: „Das ist ja die traurigste Geschichte, die wir bis jetzt übersetzt haben“, war sein Kommentar. Auf die erschrockene Nachfrage, was denn daran so traurig sei, meinte der Indigene: „Nun ja, da ist so viel Sünde getan worden.“ „Wirklich?“ „Ja, mindestens viermal! Aber wir können sicher etwas daraus lernen.“
Der Mitarbeiter fragte sich, ob sie wirklich beide die gleiche Geschichte meinten. „Siehst du“, erklärte ihm sein Kollege geduldig, „Maria war schwanger, bevor sie Joseph geheiratet hatte. Bei uns ist das jedenfalls eine Sünde, allerdings nur eine kleine, es passiert ja alle Tage.“
„Das lässt sich aus der vorangegangenen Geschichte erklären“, meinte der Mitarbeiter, „aber was waren die anderen Sünden?“
„Also, erstens, als sie nach Bethlehem kamen, gab ihnen niemand einen Platz zum Übernachten. Die Leute dort waren wohl ärgerlich über die erste Sünde. Aber dann begingen sie eine noch schlimmere Sünde. Nicht gastfreundlich zu sein, das ist wirklich schlimm, niemand hier bei uns würde jemanden wegschicken, der um ein Nachtquartier bittet. Dann muss das Verhalten der Leute von Bethlehem Maria so getroffen haben, dass sie nach der Geburt ihr Kind auch noch hingelegt hat. Das war auch eine schwere Sünde. Eine gute Mutter hält ihr Kind doch bei sich und trägt es immer mit sich herum. Nur wer sein Kind nicht haben will, legt es hin, und das ist eine noch schwerere Sünde. Aber das war nicht alles: Sie legte ihr Kind auch noch in die Futterkrippe. Was könnte schlimmer sein, als sein Kind den Tieren zum Fressen hinzulegen? Siehst du, so wurde aus einer kleinen Sünde eine Folge von vielen schwereren Sünden. Das ist es wohl, was wir aus der Geschichte lernen können!“
Dem Mitarbeiter wurde sofort klar, dass der Indigene das Verhalten von Maria in der Weihnachtsgeschichte nach den Anstandsregeln seines Volkes beurteilt und darum so viele Sachen missverstanden hatte. Er war mehr als dankbar, dass er durch die Unterhaltung mit seinem Kollegen darauf gestoßen war, denn nun konnte er durch einige Anpassungen in der Übersetzung diese Missverständnisse ausräumen. So wurde aus der traurigen Geschichte doch noch eine frohe Botschaft für dieses indigene Volk.