Steckerleiste

Zwischen Stromausfall und Bibeltext

Text vorlesen lassen

Alltag und Bibelübersetzung in Amaaro (Südäthiopien)

Fünf Uhr morgens. Noch ist es dunkel, doch die laute Musik aus dem Fitnessstudio nebenan reißt mich aus dem Schlaf. Zum Glück habe ich Ohrenstöpsel – so kann ich noch ein bisschen weiterschlummern. Obwohl die Musik nervt, ist sie auch ein gutes Zeichen: Strom ist da! Handy und Laptop sind voll aufgeladen.

Da unsere Wohnung keinen Wasseranschluss hat, holen wir Wasser vom Hof und waschen uns über einer Schüssel. Auf dem Rückweg vom Plumpsklo verstummt plötzlich die Musik – der Strom ist weg. Also kocht Hanna den Haferbrei heute auf dem Gasherd. Wenigstens ist es jetzt ruhig. Zum Frühstück gibt es Brei und eine Banane.

Auf dem Weg zum Büro kommen wir an einer Grundschule vorbei. „Ausländer, Ausländer!“, rufen die Kinder und freuen sich, uns zu sehen. Wir grüßen einige Leute auf unserem Weg. Die meisten sind überrascht, dass wir ihre Sprache sprechen. Also, wir können vor allem die Grußformeln. Für ein längeres Gespräch reicht es noch nicht, aber die Grammatik verstehen wir.

Da es nur noch wenige Minuten bis zum Arbeitsbeginn sind, fürchten wir, zu spät zu kommen. Meistens unbegründet – denn wir sind selten die Letzten. Ein Übersetzer ist schon da, wir begrüßen uns herzlich. Der zweite kommt wenig später. Wieder begrüßen wir uns ausführlich. Dann erzählt er uns, dass der dritte heute nicht kommen kann: Als katholischer Priester muss er einen Streit schlichten. Unsere drei Kollegen sind alle über 60 und haben zum Teil schon bei der Übersetzung des Neuen Testaments mitgearbeitet.

Wir beginnen mit einem Gebet. Das sprechen wir abwechselnd und in der jeweiligen Muttersprache. Heute ist Hanna an der Reihe und betet auf Deutsch. Das „Amen“ am Ende spricht sie laut aus, damit alle wissen, dass das Gebet vorbei ist. Gearbeitet wird meist in der Landessprache. Die Bibel übersetzen wir von dort in die lokale Sprache.

Im Buch Hiob, Kapitel 3, kommen wir bis Vers 3 und diskutieren, woher man bei der Zeugung schon wissen kann, dass es ein Junge wird. Nach längerem Hin und Her entscheiden sich die Übersetzer, den Vers etwas umzuformulieren – ähnlich wie andere Bibelübersetzungen es auch tun. Statt „gezeugt“ schreiben sie „geboren“ und fügen eine erklärende Fußnote hinzu.

Als die Laptop-Akkus schwächeln, weil es immer noch keinen Strom gibt, holt der Teamleiter Benzin für den Generator – zwei Liter, in einer alten Plastikflasche. Das Knattern des Motors begleitet uns, Abgase wehen durchs Fenster. Bald klopft eine Kollegin von nebenan und bittet, ihr Handy mitzuladen – die Steckdosenleiste ist nun randvoll mit Laptops, Handys und Powerbank. Weiter geht es im Bibeltext. Wir überlegen, ob „Leviatan“ so stehen bleiben oder besser als „Krokodil“ übersetzt werden soll (Hiob 3,8).

Uebersetzungsarbeit aethiopien

Zum Mittagessen gehen die Übersetzer nach Hause, und wir gehen in ein lokales Restaurant. Nebenan essen Männer Spaghetti mit scharfer Sauce. Wir entscheiden uns für ein Avocado-Gericht, serviert auf Indschera – dem typisch äthiopischen Fladenbrot.

Nach einem kurzen Mittagsschlaf geht es zurück ins Büro. Endlich ist auch der Strom wieder da. Einer der Übersetzer sitzt bereits am Tisch. Da der Rest noch nicht da ist, nutzen wir die Zeit, um Fragen zur Schreibweise einiger Wörter zu klären: Ist das „i“ in „xhige“ lang? Dann sollten wir besser „xhiige“ schreiben. Nach einigem Warten kommt endlich der andere Übersetzer – er musste noch eine wichtige Bankangelegenheit klären. Wir arbeiten weiter und überlegen, was wohl „mir kamen Knie entgegen“ bedeutet (Hiob 3,12). Schließlich entscheidet sich das Team für „nahm mich auf den Schoß“.

Kaffeepause uebersetzungsarbeit afrika

Am Nachmittag lässt die Konzentration nach. Wir laden die Übersetzer zu einer Tasse Kaffee ein. Nach der letzten Preiserhöhung kostet eine Tasse nun 10 Cent. Die Übersetzer sind empört, weil sich der Preis im letzten halben Jahr verdreifacht hat. Wir versichern ihnen, dass wir sie von Herzen gerne einladen, und gehen gemeinsam in das schöne Café auf der anderen Straßenseite. Ein alter Herr mit weißem Haar begrüßt unsere Kollegen und dann auch uns. Was denn die Weißen hier machen, möchte er wissen. Die Übersetzer freuen sich, bei solchen Gelegenheiten von ihrer Arbeit am Alten Testament berichten zu können. Viele Koore wissen nicht, dass eine Übersetzung des Alten Testaments entsteht – manche kennen leider nicht einmal das Neue Testament in ihrer Sprache.

Wasser holen aethiopien

Am Abend bereiten wir noch Fragen für den nächsten Tag vor, besonders zu kniffligen Begriffen. Wir vergleichen verschiedene Übersetzungen, schauen im Urtext nach und notieren uns Ideen.

Schließlich beginnt Hanna mit dem Abendessen. Ich hole schnell Tomaten, Karotten und ein paar Bananen vom Markt. Dann fülle ich noch den Wasserfilter auf, damit wir auch morgen wieder genug Trinkwasser haben. Wir sind dankbar, dass der Strom noch da ist – auch wenn die Musik vom Fitnessstudio wieder dröhnt. Wenigstens essen wir nicht bei Kerzenschein.

Vorlage interviewpartner

Autor

Lukas Bröcker lebt zusammen mit seiner Frau Hanna in Äthiopien und berät die Koore-Übersetzer bei der Arbeit am Alten Testament.