Madchen betet

Wie die heutige Jugend tickt und was dies für die Gemeinden bedeutet – ein Gastbeitrag.

Verwundet und hochbegabt

Das Jahr 2010 markiert einen Generationenwechsel: Zum ersten Mal kommen Jugendliche aus der sogenannten Generation Alpha in die Konfirmandenzeit. Wir erleben den Übergang von der Generation Z (geboren 1995–2010) zur Generation Alpha (ab 2010). Diese junge Generation wächst in einer Welt auf, die sich schneller wandelt als je zuvor – digital, kulturell und gesellschaftlich. 
Wie „tickt“ diese Jugend? Und was bedeutet das für unsere Gemeinden, für Jugendarbeit und Mission? 


Ich habe aktuelle Studien, darunter die Sinus-Jugendstudie 2024, den World Vision Jugendreport 2024 und neue Daten der Barna Group, ausgewertet, mit Jugendleitern gesprochen und Beobachtungen gesammelt. Fünf zentrale Merkmale stechen hervor – verbunden mit Chancen für christliche Arbeit.


Zwischen Alltagskämpfen und Zukunftshoffnung

Nehmen wir Emma (14) und Ben (17). Sie sind keine Ausnahme, sondern typisch für viele Jugendliche heute.

Emma kennt kein Leben ohne Smartphone. Sie ist fast immer online, kommuniziert auf mehreren Kanälen gleichzeitig, hat digitale Freundschaften und erwartet ständige Erreichbarkeit. 
Ben dagegen hat die Corona-Zeit als tiefe Zäsur erlebt: Statt Freiheit und Freundschaften – Isolation, Bildschirmunterricht, Einsamkeit. In einer prägenden Entwicklungsphase war er zu Hause eingesperrt. 

Beide leben in einer materiell sicheren Welt, aber in einer seelisch angespannten Gesellschaft. Klimaangst, Kriegsbilder, Leistungsdruck, Zukunftsunsicherheit – all das hinterlässt Spuren. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann spricht von einer „verunsicherten Generation“, die Stabilität und Sinn dringender sucht als jede zuvor. 


Jugendliche verbringen laut JIM-Studie 2024 durchschnittlich 4,3 Stunden pro Tag am Smartphone. Der Dauerinput führt zu Konzentrationsproblemen, Stress und innerer Unruhe. Doch: Gleichzeitig wächst der Wunsch nach Reduktion.
In der Sinus-Studie heißt es: „Offline-Zeiten werden als Oasen empfunden.“ Viele Jugendliche schalten bewusst ab, löschen Apps oder setzen sich selbst Bildschirmlimits.

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Chance für die Kirche:

Gemeinden können zu Gegenräumen werden – Orte, an denen das echte Leben zählt. Gemeinschaft, persönlicher Austausch und spürbarer Glaube gewinnen neue Attraktivität. Gute digitale Angebote bleiben wichtig, aber sie ersetzen nicht das „Anfassbare“.
Laut einer Erhebung der Barmer Krankenkasse (2024) leidet fast jeder dritte Jugendliche regelmäßig unter psychischer Belastung. Angst, Druck und Erschöpfung nehmen zu. Trotzdem zeigen die Studien auch: Viele junge Menschen behalten einen „realistischen Optimismus“. Sie glauben, dass das Leben gelingen kann, wenn man Halt findet.
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Chance für die Kirche:

Hier liegt eine große Stärke des Glaubens. Jesus verspricht Geborgenheit und Hoffnung, wo andere Sicherheiten bröckeln. Gemeinden sollten bewusst Orte des Aufatmens sein – mit ehrlicher Seelsorge, offenen Ohren und einer Atmosphäre, in der Schwäche kein Makel ist.

Die aktuelle Jugend wünscht sich, gehört zu werden. 70 Prozent sagen laut Sinus-Studie, sie wollen bei gesellschaftlichen Themen mitreden. Doch nur rund ein Drittel glaubt, dass ihre Meinung tatsächlich zählt. Viele erleben, dass Erwachsene über sie statt mit ihnen sprechen. 


Ben und Emma sind da typisch: Sie möchten ernst genommen werden, aber nicht überfordert werden. Emma engagiert sich punktuell – etwa bei Umweltaktionen oder in ihrer Schule – will aber keine dauerhafte Verpflichtung. Ben findet Diskussionen wichtig, aber Verantwortung anstrengend.

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Chance für die Kirche:

Jugendarbeit muss Räume schaffen, in denen junge Menschen beteiligt statt nur beschäftigt sind. Mitgestaltung, Mitsprache und Vertrauen fördern Identifikation. Wo Jugendliche gehört und gebraucht werden, bleiben sie – wo nicht, ziehen sie sich zurück.

Die Krisenjahre haben die Lebensplanung vieler junger Menschen verändert. „Wir planen nicht mehr in Jahren, sondern in Momenten“, sagt eine 16-Jährige in der World Vision Studie. Jugendliche entscheiden spontan, flexibel, situationsbezogen.
Ideologische Lager oder große Zukunftsversprechen überzeugen sie kaum – sie suchen das Konkret-Praktische. Sie haben gelernt zu filtern, was ihnen guttut, und distanzieren sich von Hype-Debatten.

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Chance für die Kirche:

Diese Generation denkt in Erfahrungen, nicht in Dogmen. Glauben muss erlebbar sein: in Gemeinschaft, in Taten, im Alltag. Projekte, die Sinn, Teamgeist und sichtbare Wirkung verbinden, haben mehr Zugkraft als theoretische Programme.

Die Mehrheit der Jugendlichen hat laut Sinus-Studie 2024 selbst schon Diskriminierung erlebt – wegen Herkunft, Aussehen oder auch des Glaubens. Zugleich wächst der Wunsch, Ungerechtigkeit aktiv entgegenzutreten.
Emma sagt: „Ich will wenigstens irgendwo etwas fairer machen.“ Diese Haltung ist typisch: kleine, konkrete Schritte statt großer Parolen.

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Chance für die Kirche:

Das Thema Gerechtigkeit ist biblisch. Wenn Christen Einsatz zeigen für Benachteiligte – im Stadtteil, in Mission oder sozialer Arbeit – sprechen sie die Sprache dieser Generation. So wird Glaube glaubwürdig.

Was wir Älteren tun können

Aus diesen Beobachtungen ergeben sich fünf Bitten an alle, die Verantwortung tragen – in Gemeinden, Familien und Werken:

1.

Ehrt die Jungen.

Kinder und Jugendliche sind Gottes Geschenk (Psalm 127,3). Wir sollten sie nicht zuerst kritisieren, sondern verstehen, fördern und ermutigen.

2.

Gebt ihnen Raum.
Sie brauchen Platz für Fragen, Zweifel, Emotionen – und manchmal einfach einen Raum, der „ihnen gehört“.

3.

Investiert in Jugendarbeit.
Wo keine Kinder- und Jugendarbeit mehr existiert, verliert Kirche ihre Zukunft. Zeit, Geld und Gebet für junge Menschen sind entscheidend.

4.

Lernt von ihnen.
Diese Generation hat Begabungen, die wir brauchen: Sinn für Gerechtigkeit, digitale Kompetenz, Pragmatismus, Hoffnung.

5.

Seid glaubwürdige Vorbilder. 

Die Barna-Studie 2024 zeigt: 49 Prozent der Jugendlichen sehen Jesus als liebevoll, aber nur 31 Prozent beschreiben Christen so. Glaubwürdigkeit entsteht, wenn wir das leben, was wir bekennen.

Fazit

Diese Generation wird sich nicht durch unsere Appelle verändern. Aber wir können uns verändern, damit sie Heimat findet. 
Die rettende Liebe Jesu bleibt dieselbe – doch wie wir sie leben und weitergeben, muss neu durchdacht werden.

Wenn Gemeinden Räume schaffen, in denen junge Menschen Sicherheit, Sinn und Mitgestaltung erfahren, dann hat Kirche Zukunft – und bleibt das, was sie immer war: eine Gemeinschaft, in der Gott Leben verändert. 


Chris Pahl

Autor

Chris Pahl ist Projektleiter des Jugendevents CHRISTIVAL2028, gelernter Jugendreferent und Buchautor. Er lebt mit seiner Familie in Leipzig.