Alphabet Mimi

Sollen die Mimi lesen lernen?

Text vorlesen lassen

Im Osten des Tschad, südlich der Sahara, lebt das Volk der Mimi. Eine von mehr als 120 Ethnien im Land – mit eigener Sprache und reicher Kultur, aber ohne schriftliche Überlieferung. Die meisten Mimi können nicht lesen, vor allem nicht in ihrer Muttersprache. Selbst, wenn sie es könnten, wäre es fast unmöglich – denn Literatur in Mimi gibt es bislang kaum. 

Doch wozu überhaupt lesen lernen – und das auch noch in einer Sprache, die bisher ausschließlich gesprochen wurde?

Lesen verändert Leben

Die Antwort zeigt sich in vielen Studien: Kinder, die in ihrer Muttersprache lesen lernen, sind in der Schule erfolgreicher – nicht nur im Lesen, sondern auch in Mathe und anderen Fächern. Bildung stärkt das Selbstwertgefühl, eröffnet neue Perspektiven und schafft Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe. Alphabetisierte Mütter können medizinische Hinweise besser verstehen – und das senkt nachweislich die Säuglingssterblichkeit.

Und: Wer lesen kann, kann selbst entdecken. Auch in der Bibel. Ich wünsche mir, dass Menschen aus jeder Ethnie Jesus durch Gottes Wort kennenlernen können – in ihrer eigenen Sprache. Dass sie Zugang bekommen zu Bildung, Gesundheit und Recht. Und nicht mehr nur auf das angewiesen sind, was andere ihnen erzählen.

Die Mimi sollen nicht länger ausgeschlossen sein.

Aber wie sieht ein guter Anfang aus?

Der lange Weg zur Schriftsprache

Ein Linguist arbeitet seit einigen Jahren an der Verschriftlichung der Mimi-Sprache. Inzwischen gibt es ein vorläufiges Alphabet – sogar in lateinischer und arabischer Schrift – sowie eine Handvoll kleiner Bücher. Doch bis zu einer funktionierenden Alphabetisierung ist es noch ein weiter Weg: Die Rechtschreibung muss getestet, Lesematerialien entwickelt, ein Sprachkomitee gegründet und Lehrkräfte ausgebildet werden. Dann erst kann Unterricht in Mimi stattfinden.

Einige Sprachgruppen wenden sich von sich aus an unsere Partnerorganisation SIL: Sie bitten um Hilfe bei der Entwicklung einer Schriftsprache, bei Lesematerialien, Bibelübersetzung, Leseklassen. Andere Gruppen – wie die Mimi – müssen erst entdecken, welchen Wert Lesen und Schreiben in der eigenen Sprache haben. Deshalb ist der erste Schritt: Beziehungen knüpfen, Menschen zuhören, Leben teilen. 

Volksgruppe Tschad

Ein Anfang unterm Baum

Ich durfte mit Kollegen ein Mimi-Dorf besuchen. Wir wurden herzlich empfangen – vor allem von den Frauen und Kindern. Ich las ihnen aus einigen kleinen Büchern auf Mimi vor. Die Reaktion? Begeisterung und Staunen: „Unsere Sprache kann man lesen? Das wollen wir auch lernen!“

Ein paar Wochen später kam ich mit Buchstabenplakaten zurück. Im Schatten unter einem Baum saßen Kinder auf einer Matte – erwartungsvoll. Rundherum Frauen, die Erdnüsse schälten und neugierig zusahen.

Ich las ein Mimi-Buch vor, zeigte Buchstaben, ließ Bilder und Formen erkennen und übte, von rechts nach links zu „lesen“. Die Kinder machten begeistert mit. Am Ende kamen auch die Frauen näher – und wollten selbst lernen.

So entstand unsere erste kleine Leseklasse.

Doch nach ein paar Wochen kam die Regenzeit. Die Straßen wurden unpassierbar, das Dorf lag abgeschnitten. Gleichzeitig begann die Feldarbeit. Als ich nach der Regenzeit wiederkam, waren die Kinder sofort wieder dabei. Die Frauen leider nicht mehr.

Trotzdem: Es war ein Anfang. Parallel entwickle ich neue Lesematerialien und werbe in der Region weiter für Bildung in der Muttersprache.

Der Weg ist lang. Aber er lohnt sich.

Helene lee

Autorin

Helene Lee arbeitet seit vier Jahren im Tschad.Â