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Interview mit Angela Kluge

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Akademisches Abenteuer

Zwischen Lagerfeuer und Schreibtisch

Lagerfeuer. Unbefestigte Straßen. In abgelegene Gegenden reisen, ohne zu wissen, wo man schläft.
Das ist ein Teil von Sprachwissenschaft. Survey (Spracherkundung) ist nötig, damit Sprachentwicklungsprojekte dort geschehen, wo sie nötig sind. Denn es gibt immer noch Ecken auf der Welt, wo die Sprachsituation untersucht werden muss. Ein Teil dieser Arbeit ist eng mit Abenteuer verbunden. Der größere Teil dieser Arbeit ist wissenschaftliche Forschung und Schreibtischarbeit.

Dr. Angela Kluge führt selbst Spracherkundungsprojekte durch. Wir haben sie zu dieser ungewöhnlichen Berufswahl befragt.

Angela Kluge in Papua

Wie läuft ein Spracherkundungsprojekt ab?

Wir bekommen konkrete Anfragen von unterschiedlichen Auftraggebern. Bevor wir abreisen, ist Schreibtischarbeit angesagt: Wir führen zuerst Hintergrundrecherchen durch. Dazu gehört Literaturrecherche. Damit wir vor Ort möglichst auf offene Türen stoßen, interviewen wir Menschen, die die Gegend schon kennen. So finden wir heraus, wer potenzielle Kontaktpersonen sind, wie die Gegend aussieht und worauf wir uns einstellen müssen. Aus den Ergebnissen erarbeiten wir einen Forschungsplan, der möglichst detailliert ist. Geeignete Methoden werden gesucht und angepasst.

Vor Ort führen wir die Forschung durch. Dazu gehören Interviews, Befragungen, Tests und Sprachaufnahmen. Durch eine spätere Auswertung finden wir zum Beispiel heraus, wo die Grenzen einer Sprache oder zwischen verschiedenen Dialekten verlaufen, und wann wo mit wem welche Sprachen gesprochen werden. Wenn wir zurückkommen, geht es wieder an den Schreibtisch. Hier werden die Daten ausgewertet und wissenschaftliche Berichte geschrieben. Mit dem Bericht ist unser Teil der Arbeit beendet. Dann entscheidet der Auftraggeber, was mit den ausgewerteten Daten und unseren Empfehlungen geschieht.

Was könnt ihr durch Survey herausfinden?

Survey-Fragen können sein: Wo und in welchen Lebensbereichen wird eine Sprache gesprochen? Welche Dialekte gibt es in der Sprache? Wenn die Sprache verschriftet werden soll, in welchen Dialekt? Bei mehrsprachigen Volksgruppen: Können die Menschen gegebenenfalls Materialien in einer anderen Sprache verwenden?

Es kann auch sein, dass wir in ein Gebiet reisen, in dem Spracharbeit schon angefangen hat. Dann befassen wir uns mit Fragen wie: Muss vorhandenes Lernmaterial angepasst werden? Inwieweit werden vorhandene Literatur und Bibeln benutzt? Wurde der richtige Dialekt für die Übersetzung gewählt? Wäre eine Überarbeitung sinnvoll?

A.Kluge in Asien Linguistik

Was fasziniert dich an deiner Arbeit?

Mich reizt die Mischung aus Abenteuerlust und Wissenschaft. Das Abenteuer beginnt schon bei den Vorbereitungen. Bei mir entwickelt sich dann „Jagdfieber“. Was mich reizt? Dorthin zu reisen, wo viele noch nicht waren. Neue Leute, neue Gegenden kennenlernen. Ich mag das Potential für Überraschungen: Wie sind die Straßenverhältnisse? Wie leben die Menschen vor Ort? Wie werden wir aufgenommen? Werden die Menschen vor Ort bei unserer Arbeit mitmachen? Werden wir Dolmetscher finden?

Survey ist viel akademisches Arbeiten, es ist sehr projektbezogen. Das gefällt mir. Erst die Knobelarbeit am Anfang: Wie setzen wir den Auftrag um? Dann der Einsatz vor Ort und am Schluss die Auswertung und Veröffentlichung. Ich finde das absolut klasse, diese Mischung aus akademischer Arbeit und Unterwegssein.

Was waren für dich ein besonderes Erlebnisse bei Spracherkundungsreisen?

In Togo und Benin gibt es eine Sprache, die auf beiden Seiten der Grenze gesprochen wird. Auf beiden Seiten der Grenze hatten die Sprecher dieser Sprache negative Ansichten über die jeweils andere Gruppe. Als wir diese Spannungen im Rahmen unserer Survey-Arbeit mitbekamen, konnten wir ein Treffen der Dorfchefs beiderseits der Grenze vermitteln.

Das Treffen kam tatsächlich zustande und war sehr gut.

Wie hast du dich durch diese Arbeit verändert?

Im Laufe der Jahre habe ich eine Gelassenheit entwickelt, dass es irgendwie klappen wird: Wir werden schon irgendwie Leute finden, die mit uns arbeiten möchten, wir werden schon was zu essen kriegen, wir werden schon irgendwo schlafen. Wenn das Auto kaputt geht, werden wir schon irgendwie ankommen.

Survey

Dr. Angela Kluge führt selbst Spracherkundungsprojekte durch und leitet die Redaktion der Zeitschrift Journal of Language Survey Reports. 

Unter www.sil.org/resources/publications/jlsr kann man nachlesen, was die Forscher bei ihren Surveys herausgefunden haben.