Frau in Asien schaut auf ihr Smartphone

KI-gestützte Bibelübersetzung

Text vorlesen lassen

Künstliche Intelligenz kann die Bibel nicht mal eben so in Minderheitensprachen übersetzen. Dafür fehlen ihr die nötigen Daten. Sie benötigt riesige Textmengen, doch für viele erst kürzlich erforschte und verschriftete Sprachen existieren diese noch nicht. Außerdem ist großes kulturelles und theologisches Fachwissen notwendig, damit Bibeltexte auf natürliche, verständliche und korrekte Weise übertragen werden.  Nur wenn sie die Zielkultur berücksichtigen, können sie die Herzen der Menschen erreichen.

Bibelübersetzung ist ein langer und komplexer Prozess. Wir bei Wycliff und den Partnerorganisationen sind davon überzeugt, dass Programme, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten, eine enorme Hilfe sein können. Das ist aber nicht so zu verstehen, dass KI eine fertige Übersetzung auf Knopfdruck „ausspuckt“, während wir uns zurücklehnen. Vielmehr sehen wir diese Systeme als Assistenten oder Co-Piloten, die sowohl einheimischen Übersetzern als auch Übersetzungsberatern die Arbeit erleichtern.

Im Folgenden stelle ich Ihnen einige dieser spannenden und hilfreichen Programme vor und gebe Ihnen einen Einblick in ihre Funktionsweise.

Scripture Forge

Scripture Forge ist eine Plattform, die von unserer Partnerorganisation SIL entwickelt wurde, und mittlerweile auch KI-Technologie nutzt. Wenn das Neue Testament bereits übersetzt wurde, kann Scripture Forge mithilfe von KI Entwürfe für andere biblische Bücher erstellen. Diese Technologie ist besonders relevant für bis zu 1700 Sprachen, in denen es zwar eine Übersetzung des Neuen Testaments gibt, aber die Sprecher noch auf die vollständige Bibel warten. Scripture Forge kann in solchen Fällen den sogenannten „Entwurf Null“ erstellen. Dieser basiert auf bereits übersetzten biblischen Texten und funktioniert, indem die KI genügend Material in zwei Sprachen vergleicht. Am besten funktioniert dies, wenn schon 10 000 Bibelverse übersetzt wurden – das entspricht ungefähr dem Umfang des Neue Testaments. Bisherige Erfahrungen mit dem Programm zeigen, dass die KI-Entwürfe häufig sehr natürlich klingen und eine hohe Qualität haben. Die KI ahmt den Stil der schon vorhandenen Übersetzung nach. Allerdings muss man – wie bei menschlichen Übersetzern auch – immer mit Fehlern rechnen. Der „Entwurf Null“ ist eine große Hilfe, aber er ist nur der erste Schritt im Bibelübersetzungsprozess, der viele Prüfungen und Tests erfordert.

AQuA

Ein weiteres beeindruckendes Programm ist AQuA. Es wurde speziell entwickelt, um den Prozess der Qualitätsprüfung zu unterstützen. Dieses KI-System vergleicht den Entwurf eines neuübersetzten biblischen Buches mit einer bereits geprüften und bewährten Übersetzung. So können Übersetzer Unstimmigkeiten aufspüren. AQuA kann beispielsweise feststellen, ob bestimmte Wörter in der neuen Übersetzung fehlen. Es kann Texte auch in Hinblick auf Form und Stil vergleichen und Verse identifizieren, in die sich eventuell Fehler eingeschlichen haben.

Faithbridge

Ein weiteres spannendes Anwendungsfeld für KI ist die Exegese – die Auslegung und das Verständnis von Bibeltexten. Hier kommt die KI-gestützte Anwendung Faithbridge ins Spiel. Faithbridge hilft einheimischen Übersetzern, schnelles Fachwissen zu biblischen Begriffen und Auslegungen zu finden. Diese Frage-Antwort-App bietet Übersetzungshilfen in 80 verschiedenen Sprachen. Übersetzer können per Text- oder Spracheingabe Fragen stellen und innerhalb kürzester Zeit präzise Antworten erhalten, einschließlich Illustrationen und Videoclips. Dies spart den Übersetzern enorm viel Zeit, da sie nicht mehr selbst umständlich die vielen verfügbaren Übersetzungshilfen durchsuchen müssen.

AERO

Was die KI auch faszinierend macht, ist ihre Fähigkeit, nicht nur mit Texten, sondern auch mit Bildern, Ton und Videos zu arbeiten. Diese Anwendungsgebiete sind besonders spannend für uns bei Wycliff und SIL, da wir schon seit Jahren verschiedene digitale Medien nutzen, um biblische Inhalte zu verbreiten. Ein Beispiel ist die Hörbibel, die für viele Sprecher von Minderheitensprachen wichtig ist. In manchen Sprachgemeinschaften wird die Bibel sogar ausschließlich mündlich übersetzt und über Audiodateien verbreitet. Hier kommt ein weiteres KI-Werkzeug von SIL ins Spiel, das sich derzeit in der Testphase befindet: AERO. Dieses Tool hilft dabei, störende Hintergrundgeräusche aus Aufnahmen zu entfernen.  Und wenn Sprecher ihre Identität aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben wollen, kann AERO ihre Stimmen verändern – so, dass es immer noch natürlich klingt. Stellt sich nach einer Aufnahme heraus, dass beispielsweise ein bestimmter biblischer Begriff doch lieber anders übersetzt werden sollte, kann die KI die Aufnahme anpassen, ohne dass die ganze Aufnahme wiederholt werden muss. 

KI - ein wertvolles Werkzeug

Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz sind noch lange nicht ausgeschöpft. Und wir arbeiten kontinuierlich an weiteren Anwendungen. Dabei ist uns bewusst, dass KI trotz all ihrer Potenziale verantwortungsbewusst und gezielt eingesetzt werden muss. Letztlich sind wir Menschen dafür verantwortlich, dass diese Technologie zum Wohl der Menschen eingesetzt wird. KI bringt große Vorteile für die Arbeit der Bibelübersetzung, und wir achten genau darauf, dass sie nicht auf schädliche oder unverantwortliche Weise verwendet wird. Sie ist ein wertvolles Werkzeug, dass uns dabei unterstützt, Sprachgemeinschaften einen Zugang zur Bibel und zu Bildung zu ermöglichen.

M. F.

arbeitet bei SIL (Partnerorganisation) unter anderem als APP-Entwickler.